Sonntag, 15. Juni 2008

Kriegserlebnisse Rudolf Zipp 1941 bis 1945





Vorwort zum dem Buch
„ Sein Kampf 1941 bis 1945“
von Rudolf Zipp Kirchzell

Mein Vater Rudolf hat seine Kriegserlebnisse auf Zetteln notiert.
Im Jahre 1972 hat er diese Zettel in ein Schulheft aufgeschrieben.
Im Jahre 2005 habe ich dieses Schulheft (im Besitz von Ludwig Zipp) in den Computer eingescannt.
Aus dem original Geschriebenen habe ich ein Büchlein zusammengestellt.
Im Jahre 2014 habe ich dieses Büchlein abgeschrieben.
Es wurden dabei die Rechtschreibfehler und die Grammatik extra nicht verbessert.

Rudolf Zipp geboren in Kirchzell
am: 19.April 1900

Ehe mit Hildegunde geb. Haas aus Watterbach
am: 26.April 1932

Verstorben in Kirchzell
am: 02.November 1986
geschrieben:
Werner Zipp Schneeberg/Odw
im Juni 2014



1941
Am 02. April 1941 musste ich einrücken nach Aschaffenburg in die  Bois Bruele Kaserne, Landeschützen Bataillon 106.
Nachdem ich am rechten Auge sehbehindert war, wurde ich als Linksschütze ausgebildet.
Schon nach 14 Tage bekam ich samstags Urlaub zur Erstkommunionfeier von Ludwig. Nach einigen Wochen Ausbildung, kam ich Pfingstsamstag nach München in die Blumenschule als Feldbäcker, aber schon nach 4 Tagen musste ich wieder zurück nach Aschaffenburg. Dabei fuhr ich über Würzburg und Seckach nach Kirchzell, blieb hier 1 Tag und dann nach Aschaffenburg. Bekam 8 Tage Urlaub zur Heuernte. Nach dem Urlaub wurden wir nach Wetzlar verladen.
Im Wehrpass war eingetragen „ G.V. Feld (für Heimat). Nicht K.V.D. (ist kriegsverwendungsfähig und Front).
Wetzlar
Hier wurde ein neues Bataillon zusammengestellt von lauter Soldaten die G.V. Heimat waren. Von Kirchzell war Gustav Herkert dabei, der später gefallen ist. Nach einigen Wochen ging es ab nach Posen (im Güterwagen)
Posen in Polen
In Posen kamen wir in die Kuhndorfkaserne zum Wache schieben. (Munitionslager).  Das Essen war hier noch gut. Es gab auch 14 Tage Urlaub.
 Eines Tages wurde ich mit 100 Mann zu einem Transport zusammengestellt.
Wir fuhren mit der Bahn ab Posen nach Berlin, Hanau nach Paris, dann nach Chantilly (Oise). Wir wohnten hier in einem Schlösschen von Rothschild, und holten mit der Bahn Pferde aus Paris (großer Schlachthof). Die Pferde ließen wir in einem Park in Chantilly springen.
Am anderen Tag fahren wir mit der Bahn nach Brest an der Meeresküste in Südfrankreich.
Wir mussten auf eine Anhöhe zu einem Bauerndorf, hier wurden die Pferde gemustert und abgeführt, jeder Mann 4 Pferde. Ich wartete bis zuletzt, weil die Pferde böswillig waren.
Aber ich hatte Pech, die letzten Soldaten bekamen jeder 1 Hengst zum Abführen, so auch ich. Dieselben waren noch närrischer, stiegen hoch, liefen manchmal auf 2 Beinen, aber wir haben es geschafft bis zum Bahnhof.
In Chantilly wurden dann 400 Pferde verladen, in 1 Waggon 8 Stück und 2 Mann. Marschverpflegung war reichlich, so fuhren wir wieder zurück (geschlafen wurde in den Waggons bei den Pferden) über Belgien, Holland nach Posen.
Der Transport hin und zurück dauerte 4 Wochen. Es war interessant und viel zu sehen.
Jetzt bekam ich wieder 14 Tage Urlaub bis zum 4. Dezember 1 Tag vor Nikolaus.
Dieser kam daher bei uns einen Tag früher.
Rempertow in Polen
Zwischen Weihnachten und Neujahr hatten ein Kamerad und ich einige hundert Krapfen gebacken für die Kompanie.
Am Neujahrstag 1942 wurden wir wieder verladen nach Rempertow hinter Warschau. Essen gab es hier ganz wenig. Ich ließ mir von zuhause Briefe senden im Brief 50 gr. Schinken. Paketpost war gesperrt. Eines Tages hatten wir am Schießplatz Schießübung.
Ich war beim Vorkommando, wir mussten eine Stunde früher abmarschieren zum Schießstand. Bis die Kompanie ankam, waren wir schon richtig durchgefroren (bis 30 Grad Kälte).
Nachdem ich meine Übung sehr gut geschossen hatte, bekam ich noch 2 extra Schuss; aber meine Finger waren schon ganz gelb gefroren. Darum musste ich sofort zurück zum Sanitäter.
Nach einigen Tagen löste sich die Haut an den Fingern und ging weg. Jetzt hatte ich einige schöne Tage.
Eines Tages wurden wir wieder gesondert. Ich war G.V. Feld geschrieben und sollte mit der Kompanie nach Russland, als Ältester der Kompanie.
Gustav Herkert aus Kirchzell und fast die ganze Kompanie sollten zurück nach Deutschland. Nur 15 Mann und ich sollten nach Russland. Mein Feldwebel schickte mich in den Stall, bekam 2 Pferde und sollte in Russland die Feldküche fahren.
  Nachdem ich einige Tage im Stall ruhige Tage verbrachte, meldete ich mich eines Morgens zum Arzt wegen meinen Augen. Der aber jagte mich fort. Aber am anderen Tag ging ich trotzdem noch mal hin und verlangte eine andere Brille. Da er mir keine verschreiben konnte, schickte er mich nach Warschau zum Augenarzt.
Das war mein Glück. Der Augenarzt ein älterer Herr untersuchte meine Augen gründlich und erklärte mir, dass ich nicht nach Russland einsatzfähig wäre. Ich bat ihn, dass er mir es schriftlich geben möchte, für meinen Hauptmann. Dieses Schriftstück gab ich in der Schreibstube ab. Nach wenigen Tagen fuhr ich mit dem Bataillon nach Deutschland zurück. Unterwegs blieb die Bahn im Schnee stecken und zwar in Deutschland. Es war Anfang März. Wir gingen in ein Bauernhaus nahe am Bahngelände, rasierten uns und tranken Kaffee. Nach 24 Stunden Wartezeit kam noch eine Lokomotive, die uns nach Deutschland brachte. Als Kinderreicher mit 4 Kinder kam ich nach Hanau.
Hanau
Samstag Mittag kamen wir in Hanau in die Hessen Homburg Kaserne. Sofort bekamen wir ein Gewehr und sonstige Ausrüstungsgegenstände und mussten schon sonntags Mittag auf Wache ziehen und zwar immer mit Musik. Es war eine richtige Zirkuskompanie. Jeden Tag exerzieren mit Parademarsch, den ich mit meinen Einlagen schlecht fertigbrachte. Also eine halbe Stunde nachexerzieren. Wir hatten alle die Nase voll.
An einem Sonntagmittag kam ich gerade von der Wache, da stand meine Frau am Kasernentor, sie blieb dann bis Montag früh.
Morgens 7 Uhr traten wir wieder zum Dienst an. Der Hauptmann fragte: wer kann schlecht laufen. Ich meldete mich, da bekam ich ein Fahrrad und musste hinter der Kompanie herfahren. Die Musik vorne weg, der Hauptmann auf dem Pferd, ich hintendrein. War prima. Aber bei der Geländeübung, musste ich den Feind suchen und danach dem Hauptmann Meldung machen, wo dieser war. Hat geklappt. Auch konnte ich von Hanau 3 Tage in Urlaub fahren.
Eines Tages wurde unsere Kompanie nach Gießen verlegt.
Gießen
Hier in Gießen kam ich in die alte Zeughauskaserne. Wir mussten exerzieren und Wache schieben.
Eines Tages wurden wir alle untersucht, von einem älteren Arzt. Ich meldete ihm dass ich schlecht laufen kann und am rechten Auge fast blind bin und links kurzsichtig. Er fragte mich ob ich nicht in die Heeresbäckerei wollte, was ich bejahte.
Heeresbäckerei Gießen
Tags darauf meldete ich mich in der Heeresbäckerei. Es waren hier fast lauter Soldaten. Ich bekam als Selbstverpfleger Lebensmittelkarten und täglich 3Mark neben der Löhnung.
Die ersten 3Tagen musste ich an den 7 Doppelauszugsöfen ausbacken. Ich schwitzte kollosal. War alles nicht mehr gewohnt und dazu im Sommer. Der Oberbäcker schickte mich jetzt an einen Ofen in dem die verpackten Brote sterilisiert wurden für Afrika. Wir waren zwei Mann und konnten gemütlich arbeiten.
Eines Tages ging die Backstubentüre auf und neben mir stand ein Kirchzeller namens Speht der Ehemann von der Amanda Speht.
Er ist später gefallen. Ich gab ihm einige Brote, die er mit nach Hause nahm, als er 2 Tage später in Urlaub fuhr.
Auch ich fuhr eines Tages in Urlaub, wobei ich einen Koffer mit Brot verpackte und mit nach Hause nahm.
Eines Tages kam ein Arzt und untersuchte jeden Bäcker, da ich G.V.Feld geschrieben war im Wehrpaß, sollte ich wieder nach Russland und kam nach Mühlhausen ins Krankenhaus.
Da selbst wurde ich vom Arzt untersucht und G.V. Heimat geschrieben. In Mühlhausen sollte ich in den Stall zu Pferden, habe aber abgelehnt. Eines Tages traf ich hier einen Kameraden aus Posen, der hier in der Schreibstube war.
Er gab mir den Rat: “Gehe in die Karteistelle und sage dort wo du hin willst. Ich erklärte dort, ich möchte gerne zum Bataillon 633 nach Bad Orb. Das wurde mir auch genehmigt. Am Abend beim Antreten, wurde ich verlesen, dass ich schon am nächsten Morgen nach Bad Orb abreisen müsse.
Bad Orb
In Bad Orb begab ich mich sogleich zum Bataillonskomandeur. Derselbe ein älterer Herr fragte mich wo ich zu Hause bin. Nachdem ich ihm erklärte, dass ich bei Miltenberg wohne, schickte er mich nach Obernburg in die 2.Komp.Btll:633
Obernburg
Ich fuhr sofort in Richtung Obernburg, stieg aber nicht aus, sondern fuhr weiter nach Kirchzell. Am anderen Morgen fuhr ich mit dem 1. Zug nach Obernburg. Gleich über der Brücke war die Schreibstube, wo ich mich meldete.
Als Kontroll-Feldwebel war hier  Max Schork aus Amorbach, der mich gut kannte und gleich zurief.
Bei der Komp.waren mehrere Kirchzeller.
Ich selbst wurde nach Pfohlbach geschickt als Wachmann.
In Eichenbühl war Wilhelm Rüger als Wachmann. Bei Schreiner Konrad hatte ich meine Wohnung. Rüger fuhr jetzt einige Tage nach Kirchzell. Als er wieder kam fuhr ich einige Tage nach Kirchzell, so wechselten wir ab. Aber das ging nur einige Wochen.
Eines Tages bekam ich Befehl vom Hauptmann, dass ich nach Weilbach versetzt werde, dort sollte ich Gefangene bewachen, mittags nach Kirchzell fahren und bei Berberich helfen.
Berberich war der einzige Bäcker in Kirchzell. Das wollte ich aber nicht. Ich kam trotzdem nach Weilbach.
Weilbach
Hier kam ich zu Herrn Otto Hennig Tüncher. Essen bekam ich bei Herrn Renfer, jetzt Kirchzeller.
Ich hatte hier im Ort die Gefangenen zu bewachen. Im Eisenwerk war ein anderer Wachmann. Morgens besorgte ich die Post für die Gefangenen, mittags fuhr ich nach Kirchzell und besorgte meine Landwirtschaft. Wir hatten nämlich 2 Kühe im Stall. Bei Bäckerei Berberich brauchte ich nicht zu helfen, das wollte er nicht.
An Weihnachten kam der Wachmann vom Eisenwerk weg und ich musste dort die Arbeit mitmachen. An Pfingsten nahm ich Erhard mit nach Weilbach. Er blieb die Nacht über bei mir. Nächsten früh gingen wir auf den Gotthardsberg.
Eine zeitlang half ich auch dem Löwenwirt in der Backstube. Hier hätte ich den Krieg aushalten können, aber die Kompanie wurde gewechselt, so kam unsere nach Frankfurt am Main.
Frankfurt a.M
Als ich hörte, dass wir hier in Weilbach weg sollten, hatte ich beim Hauptmann beantragt, dass ich in Weilbach bleiben könnte.
Aber jeder Kirchzeller wollte in der Nähe von Kirchzell bleiben. So ging das nicht.
Ich kam nun nach Frankfurt in die Festhalle. Hier hatten wir 300 Russen zu bewachen, die in einer Fabrik arbeiteten.
 Auch hier war es zum Aushalten. Es dauerte aber nicht lange, da kamen Fliegerangriffe auf die Stadt. Bei jedem Angriff mussten wir die 300 Russen in Deckung bringen und zwar in einen unterirdischen Gang, der nur mit 1,00 Meter hoher Erdschicht bedeckt war. Wenn hier eine Bombe draufgefallen wäre, so wären wir alle tot gewesen. Aber wir hatten Glück, während hüben und drüben Bomben fielen. Auch Luftminen fielen, bei denen die Luft aus der Lunge gezogen wurde und Jeder nach Luft schnappte.
Nach solch einem Angriff sah es in der Stadt furchtbar aus. Durch die vielen Brandbomben, brannten viele Häuser, andere Bomben brachten die Häuser zum Einsturz. Vor jedem Angriff kamen die Flieger und warfen Leuchtkugel ab, die aussahen wie Christbäume. Damit steckten sie die zu bombardierenden Stadtteile ab. Danach ging es mit den Bomben los. Ich bekam auch 14 Tage Urlaub und arbeitete in Kirchzell auf dem  „ Legacker“. Dabei hörte man ein dumpfes Gedröhne. Frankfurt hatte seinen größten Angriff.
Nach einigen Tagen fuhr ich abends wieder zurück nach Frankfurt.
Dort sah es überall sehr schlimm aus.
 Nach einiger Zeit wurden sämtliche Soldaten, die nur auf einem Auge sahen nach Bonames geschickt. Auch ich war dabei.
Bonames
In Bonames sollten wir im Keller übernachten auf Stroh. Um 5 Uhr wurde geblasen zur Befehlsausgabe für den nächsten Tag. Da es uns weiter nichts anging, so lief ich doch mal hin, um zu hören.
Als der Feldwebel kinderreiche Leute suchte, trat ich auch mal vor und meldete mich. Ich wurde angenommen. Sofort mussten wir auf die Schreibstube und bekamen einen Fahrschein nach Kassel. Wir fuhren noch in der Nacht ab. Samstag früh kamen wir dort an.
In Kassel war auch schon vieles kaputt.
Wir meldeten uns in der Jägerkaserne. Hier bekam ich und noch ein Mann einen Fahrschein, Wurst und Brot und sollten einen Waggon mit Eisenteilen nach Tarbes in Südfrankreich begleiten. (Nähe von Lourdes).
Samstags liefen wir durch die zerstörte Stadt zu den Henschelwerken. Da wurde uns erklärt, dass der Waggon schon am Südbahnhof wäre, also liefen wir dorthin. Wir suchten den ganzen Güterbahnhof ab, aber fanden ihn nicht. Da erklärte uns der Bahnhofvorstand, der Waggon sei als leerer Wagen nach dem Ruhrgebiet abgeschoben worden.
Telefonisch ließ er ihn nun dort anhalten und abstellen. Wir schliefen die Nacht über im Bahnwärterhäuschen auf der Bank. Sonntag früh fuhren wir ins Ruhrgebiet ab. In Geiseke fanden wir unseren Waggon.
Am 14. Febr. 1944 morgens 3 Uhr ab nach Vohwinkel weiter nach Köln. In dieser Zeit ist Werner auf die Welt gekommen, wovon ich 14 Tage lang keine Ahnung hatte. Wir fuhren weiter über Mannheim, Mainz, Straßburg, Mühlhausen (Elsass). Am 18.Februar 1944 kamen wir nach Dolle.
Am   18. bis 22. Februar 1944 in Schalong an der Savne.
Vom 22. bis 27. Februar 1944 in St. Germain bei Lyon.
Am   27. Februar 1944 in Lyon. Wir waren auf den Güterbahnhöfen manchmal 2 bis 4 Tage abgestellt. In Lyon holte ich mir am Bahnhof frische Verpflegung und auch 2 große Teller Nudelsuppe. Mit unserm großen Fahrausweis konnte man alles haben, was uns zustand, sogar Schnaps. Nun gings weiter nach Gruas hier sah man Berge wie blanker Zement. Wir fahren weiter diesmal in einem Holzwollewagen. Am 1. März kamen wir in Montpellier an. Die Fahrt ging jetzt am Meer entlang. Man sah Wasser und Schiffe nach Duponett. Am 2. März kamen wir in Castelnandari an.
Auf dem Güterbahnhof standen ganze Waggonladungen mit vollen Weinfässer. Wir suchten uns eines aus, das nicht mehr ganz dicht war, bohrten mit dem Messer, bis Wein auslief. Jetzt füllten wir unsere Kochgeschirre voll. Schade dass wir keine leere Flaschen bei uns hatten. Da wir in einem Führerhäuschen über Nacht schliefen, tranken wir bis spät in die Nacht den Wein.
 Am anderen Tag füllten wir noch mal auf. Da hatten wir den ganzen Tag noch zu trinken.
Unsere Fahrt ging weiter, wir standen den ganzen Tag im offenen Waggon, durch die scharfe Pyrenäen Luft und Wein waren unsere Gesichter ganz rot; so kamen wir in Tarbes an am 03.März 1944 abends.
Wir schliefen nochmals im Waggon und am 04.März 1944 lieferten wir denselben ab. Jeder bekam 100 Franken und 1 Tafel Schokolade. Jetzt wollten wir uns hier einige Tage aufhalten, aber es wurde uns erklärt, der Amerikaner kann hier jeden Tag seine Truppen landen, dann könnt ihr nicht mehr heim und kommt an die Front. Nachdem ich mir noch eine sehr gute Flasche Wein in der Kantine gekauft hatte, fahren wir abends wieder ab.
Die Flasche Wein nahm ich mit nach Kirchzell. Wir fahren zurück nach Lyon, Mühlhausen, hier übernachtet.
Weiter nach Straßburg, Mannheim, Darmstadt, Frankfurt und Bebra nach Kassel. Dort meldeten wir uns in den Henschelwerke.
Die waren erstaunt, dass wir schon hier sind        ( 4 Wochen unterwegs).
Wir hätten ruhig 8 Tage später kommen können, sogar einige Tage nach Kirchzell fahren können mit dem großen Fahrschein konnte man überall hin. Aber es ging wieder nach Bonames.
Hier sammelte sich ein Haufen Post für mich an. Denn ich konnte nach Hause schreiben. Ich selbst bekam während des Transportes überhaupt keine Post.
Als erstes öffnete ich ein Telgram, worin die Geburt von Werner am 15. Februar 1944 angemeldet wurde. Daraufhin bekam ich vom 13. März bis 30. März 1944 Erholungsurlaub. Nachdem Erholungsurlaub gings wieder nach Bonames. Da hatte ich jeden Tag was anderes zu tun. Einmal half ich bei den Pflasterer, dann bei den Tünchner, dann musste ich einige Tage lang in Frankfurt die Straßen von den eingestürzten Mauern säubern. Eines Tages meldete ich mich nach Seckbach zu einer Brandwache. Ich lief morgens 10 Uhr nach Seckbach blieb dort über Nacht, ging morgens wieder nach Bonames. Das ging 8 bis 10 Tage lang.
Eines Tages mussten wir nach Bad Vilbel zum Schießen, da ich zufällig der beste Schütze des Tages war, bekam ich vom Feldwebel 10 Mark. Herr Hauptmann versprach mir 3 Tage Urlaub, den ich aber nicht bekam. Nach dem Schießen wurden sämtliche Kinderreiche verlesen und in die andere Kaserne abgestellt zu einem neuen Bataillon, das mir keinen Urlaub geben konnte.
Nach Italien
Das neue Bataillon war zusammengestellt von lauter Kinderreichen, Volksdeutsche, Polen und wenige Deutsche Soldaten. Deshalb musste ich gleich als Gefreiter, den Unteroffiziersdienst machen.
Für den Feldwebel musste ich in Frankfurt eine Karte kaufen von Italien, also wusste ich sofort wo die Reise hingeht.

Am 12.Juni 1944 abends halb sieben in Bonames abgefahren über Aschaffenburg, Würzburg, Treuchtlingen, Augsburg, München. Hier hatten wir Fliegeralarm. Am14.Juni 1944 morgens 6 Uhr in Kufstein, mittags in Insbruck. Nachdem ich unter der offenen Waggontür stand, ging eine Frau vorbei und reichte mir einen Korb mit Kirschen. Meine Kameraden und ich hatten den Korb schnell geleert und gegessen. Dabei flog ein Stein durch die offene Waggontür. Ein eifersüchtiger Feldwebel hatte ihn geworfen. Die Fahrt ging weiter übern Brennen. Heuernte im Tal  -  Schnee auf den Bergen. Weiter nach Sterzing, Brixen, Bozen. Am 15.Juni 1944 St.Felix, Crevalcore, Fliegeralarm.
Bologna
In einem alten Kloster Cijordon bezogen wir Qartier inmitten der Stadt auf einer Wiese mussten wir exerzieren.
Nachdem wir öfter Fliegeralarm hatten marschierten wir am 23.Juni 1944 ab ins Gebirge (Appenin) in den Wald und bauten uns ein Zeltlager. Hier lebten wir gut bis 23.Juli 1944. An diesem Tag marschierten wir abends ab nach Bologna zurück. Außerhalb der Stadt warteten wir auf LKW, die uns weiterbringen sollten. Um halb elf Uhr abends nahm uns 10 Mann ein LKw mit nach Forli, Rimini.Außerhalb der Stadt machten wir 1 Tag Rast. Da kamen Italiener vorbei und verkauften uns Birnen und Brot.
 Als es Nacht wurde zogen wir weiter, legten uns wieder ins Gras und schliefen bis morgens.
 Mit einem vorbeifahrenden LKW fahren wir nach Mondano. Hier lagen wir in einem Klostergebäude. Da war es kühl, denn die Hitze war schlimm. Da wir eines Tages kein Brot mehr bekamen vom Bataillon, sondern nur Mehl, mussten der Koch und ich in einer Bäckerei im Ort Brot für die Kompanie backen. Da holten wir uns außerhalb des Ortes einige Reisigbüschel zum Heizen des Ofens. Derselbe war ein einfacher Bauernbackofen.
 Den Teig machten wir mit der Hand. Beim Einschiessen der Brote lag die Schießerstange auf der Ladentheke.
 Im Laden wurde nämlich eingeschossen, so primitiv war alles in Italien. Ein Italiener brachte Brot zum Einschiessen. (Brot ohne Salz). Das Salz war hier sehr knapp und teuer. Wir hatten auch ein Fuhrwerk, 2 Ochsen und 1 Wagen, damit holten wir unseren Proviant. Unser Fahrer hatte seine Ochsen im Stall vom Pfarrer. Der Fahrer fand im Stall einen halben Sack mit Salz. Er verkaufte es dem Pfarrer für einige hundert Lire.
Also hat der Pfarrer sein eigenes Salz gekauft ohne dass er es wußte.
An einem Sonntag morgens um 4 Uhr marschierten wir wieder weiter nach
Sankt Angelo
Mittags um 12 kamen wir dort an, natürlich nass geschwitzt. Da ich als letzter dort ankam, schickte mich der Feldwebel mit 1 Mann nach
Ginestreto
hier sollte ich für 12 Mann Quartier machen. Da wir nicht italienisch sprechen konnten fiel es mir schwer, mit den Leuten zu verhandeln. Wir gingen erst mal in die Schule, aber die war belegt mit Flüchtlingen von der Stadt. Nun fanden wir ein Haus, aber da wohnten lauter Schwestern. Wir erklärten ihnen, sie bekämen 12 Mann als Einquartierung.
Da gaben sie uns sogleich einige eiserne Bettstellen, die wir im Saal vom Postamt aufstellten. Auch wir 2 Mann sollten hier übernachten.
 Jetzt machten wir uns im Hof ein kleines Feuerchen und kochten ein mitgebrachtes Huhn mit Reissuppe. Viele Einwohner, Frauen standen um uns herum und schauten uns zu. Am anderen Morgen marschierten wir wieder zurück nach   St. Angelo. Die 12 Mann kommen überhaupt nicht. War alles unnötig.
Sankt Angelo
In St. Angelo hatten wir es gut. Einmal war ich dabei bei den Bauern Vieh und zwar Ochsen zu holen. Wir fahren mit dem LKW ins Gebirge, wo einsame Bauernhöfe standen. Vor einem kleinen Ort stiegen wir ab. Da ich der älteste Soldat war durfte ich hier bleiben und den LKW bewachen. Ich setze mich am Rand eines Maisfeldes hin, wo ich alles übersehen konnte. Auf einmal hörte ich im Maisfeld etwas rascheln, ich machte mein Gewehr schussbereit und lief etwas hinein da sah ich ein Schwein angebunden an einem Pfahl.
 Die Leute hatten es versteckt. Ich machte mir nichts daraus und setzte mich wieder auf meinen Platz. Da kam auch schon ein altes Weib, kniete sich vor mir nieder und lamentierte, O mio Dio und so weiter. Nach einiger Zeit kamen die Soldaten mit Vieh, das von den Bauern hergetrieben wurde.
Die Soldaten fuhren mit dem LKW nach St. Angelo während ein Mann und ich den Transport bewachen mussten. Der eine Soldat lief vorne vor dem Transporter, ich machte den Schluß. Zwischen uns die Bauern mit dem Vieh.
Während wir auf einer Höhenstraße marschierten, fiel auf einmal ein Schuß abgefeuert auf uns von der gegenüberliegenden Höhe.
Ich legte mein Gewehr an auf einen Bauern, falls es nochmals schießt.
Der Bauer rief Etwas hinüber und es blieb ruhig und wir kamen gut heim.
Als Bäcker musste ich hier oft in der Küche aushelfen. Ich konnte mich deshalb immer sattessen, auch Wein und Obst hatten wir genug. Die Paketpost war gesperrt. So konnten wir von zuhause kein Päckchen erhalten.
Eines Tages wurde ich in die Schreibstube gerufen. Da lag Paket für mich, von zuhause. Niemand wusste, wie das nach Italien kam, wo Paketsperre ist. In meiner Unterkunft machte ich es auf. Ein Gesundheitskuchen, jeder Kamerad in der Stube, ein Stückchen, fort war er.
Dieses Paket hat der Schwager von Sommer in Kirchzell, der da in Urlaub war nach Italien mitgenommen, am Roten Kreuz abgegeben, die haben es weitergeschickt.
Seit einigen Tagen hört man hier jetzt Kanonendonner und sah auch überall schwarzen Rauch. Der Donner kam immer näher, da wir auf einem Berg lagen könnten wir leicht vom Feind umzingelt werden. Deshalb wurden wir am 16.August 1944 abends halb zehn Uhr in einen Bus verladen und zwar nur Kinderreiche. Die Fahrt ging über Pesaro, Rimini, Forli, Bologna.
Von Bologna marschierten wir zum Bataillon, das in einem Sägewerk untergebracht war. Dort übernachteten wir am sogenannten Hungerberg, wo unser Zeltlager früher war.
 Hier erfuhren wir, dass nach unserem  Abzug damals Partisanen gekommen sind, die den Bauer und seine Frau, die uns damals beherbergt hatten, ihre sämtlichen Kleider beraubt und verbrannt hatten und den Bauer mit Frau davongejagt hatten.
Am nächsten Tag marschierten wir wieder nach Bologna. Außerhalb der Stadt warteten wir auf einen LKW; der uns mitnehmen sollte nach Deutschland. Endlich um elf Uhr nachts blieb ein LKW halten, wir stiegen auf und kamen morgens an den Fluß  Po, den wir schnell noch überqueren konnten. Denn bei Tag musste die Brücke weggefahren werden wegen der Flieger.
Verona
Nun fuhren wir weiter bis Verona. Da wir noch italienisches Geld hatten (Lire), wussten wir schon dass wir es hier losbringen konnten. Ich kaufte für meine Frau ein paar Strümpfe. Abends fuhren wir dann mit der Bahn über den Brenner. Hier wurden wir entlaust und weiter gings über München, Ulm, Bruchsal, Mannheim, Frankfurt nach Bonames. Hier erfuhren wir, dass wir Kinderreichen herauskamen und sie wieder Kinderreiche hineingeschickt hätten.
 Solche Fehler wurden damals gemacht. Wir aber mussten weiter und zwar nach Gießen in die Berg-Kaserne.

Nach einigen Tagen Dienst ging es wieder weiter nach Marienburg in Westpreußen zum Bataillon 610 /3.Kompanie. Wir wären deshalb lieber in Italien geblieben, als nach dem Osten, hier waren doch die Russen.
Marienburg
Jeder hatte das Gefühl, beim Russenangriff könnte man in russische Gefangenschaft kommen ( Sibirien). Aber ich hatte hier Glück. Es ging mir auch hier sehr gut.
Wir kamen hier in ein großes Gefangenenlager   (Willenberg) außerhalb Marienburg und mussten täglich Wachuntericht mitmachen. Eines Tages ging es auf den Schießplatz.
Auf dem Weg dorthin marschierten wir an einem Bauernhof vorbei, wo Gefangene arbeiteten. Ein Wachmann bewachte sie.
 Als ich das sah sprach ich, so was möchte ich auch machen. Mein Vordermann hörte dies und sprach: Hast Du so was schon einmal gemacht, ich sprach Ja in Weilbach. Ich aber dachte mir nichts dabei. Es war freitags. Am anderen Tag war ich zur Bunkerwache eingeteilt. Wir waren gerade beim Essenempfang da kam mein damaliger Vordermann und der Feldwebel. Der Vordermann erkannte mich sofort an der Brille.
Der Feldwebel fragte mich, ob ich eine Gefangenenwache übernehmen könne, was ich bejahte, sofort wurde ein anderer Mann für mich eingesetzt und ich musste auf die Schreibstube. Ich bekam das Gefangenenkommando Giesebrecht, den Bauernhof mit 10 Gefangenen. Sechs Engländer und vier andere. Es war am 01. Oktober 1944 samstags. Der andere Wachmann wurde abgelöst.
Die Familie bestand aus Frau mit 5 Kinder und 3 Dienstmädchen. Der Mann war eingezogen. Ich hatte ein eigenes Zimmer. Beim Abendessen konnte ich mich jetzt wieder einmal richtig satt Essen. 3 Teller mit Nudelsuppe und Milch alles mit Zucker gemacht. Die Mädchen wollten mich mal richtig rausfüttern, da im Lager die Kost sehr wenig und schlecht war. Meine Aufgabe als Wachmann war die Gefangenen zu bewachen. Auf dem Hof waren 6 Engländer, die ich morgens wecken musste, die andern 4 Gefangenen waren 1 Jugoslawe und 3 Franzosen, die bei anderen Bauern arbeiten mussten. Diese Vier besuchte ich nur jeden 2 ten Tag.
 Nachdem ich 3 Tage hier war, weckte mich nachts die Bäuerin. Ich soll in die Stadt fahren und die Hebamme holen. Ich weckte den einen Engländer, den Schimmi (Jimmy), der war schon 3 Jahre hier und wusste wo die Hebamme wohnte. So fuhren wir in die Stadt und holten sie.
 Morgens war dann 1 Kind mehr da und zwar das 6.te. Getauft wurde es nicht. Ich habe nichts bemerkt. Auf dem Feld war viel Arbeit.
Schimmi fuhr in die Stadt und holte von der Schule eine Klasse Kinder. Diese lasen die Kartoffeln zusammen welche die Gefangenen herauspflügten. Am Pflug waren 4 Pferde die von den Gefangenen geritten wurden. Am Abend bekamen die Kinder und die Lehrerein ein Abendessen dafür. Am anderen Tag ernteten wir Rüben. Es war noch ein großer Acker voll draußen. Nachdem in der Stadt ein breiter tiefer Graben ausgehoben war, gegen die russischen Panzer, mussten wir über eine selbstgebaute Brücke die Rüben heimfahren, zuletzt machten wir eine große Miete, die wir mit Erde abdeckten, später wird sie der Russe verfüttert haben.
An Weihnachten bekam ich von zuhause einen Korb mit Äpfel und Gebäck was aber bald aufgezehrt war, von mir und den Kindern.
An Weihnachten waren es dieses Jahr 3 Feiertage, die Bäuerin fuhr über die 3 Feiertage in die Stadt zu ihrer Schwester. Am Tag zuvor hatten wir 3 Gänse geschlachtet, eine davon nahm die Bäuerin mit, die anderen 2 durften wir essen.
 Die 3 Dienstmädchen hatten für sich Lebkuchen gebacken und Bonbons gekocht als die Frau weg war. So hatte ich und die Kinder die 2 Gänse zu verzehren.
Am heiligen Abend ging ich in die Stadt um 5 Uhr sollte Christmette sein. Unterwegs heulte die Sirene, aber Flieger waren keine da. Es wurde absichtlich Alarm gegeben, um die Leute von der Mette fern zu halten. In der Schlosskapelle war deshalb auch nur eine einzige Frau. Ich machte mich alsbald auf den Heimweg, dabei wurde ich von einer S.A.- Streife kontrolliert. Aber ich hatte immer meinen Stadtausweis dabei, als Wachmann. (Seite 36)
Für mich war dieses Kommando eine schöne Zeit, aber an Neujahr (1945) hörte man schon, das die Russen gegen uns eine Offensive planen. Wir feierten nochmals gemütlich Silvester (1944). Nach Neujahr bekommen wir von der Bauersfrau den Auftrag uns einen Wagen zu richten, gedeckt mit einer Plane, damit die ganze Familie darin Platz hätte. Ich selbst bekam ein verschlossenes Couvert, darin stand was ich zu tun hatte bei Telefondurchsage: Regen, Donner, Blitz. Bei Meldung Regen sollte ich die Gefangenen ins Lager bringen, was ich am 25.Januar (1945) machte.
Von Elbing her hörte man jetzt schon Kanonendonner. Wir richteten uns schon alle zur Abfahrt nach Pommern. Ich sollte eine Kutsche fahren, Schimmi (Jimmy) den Planwagen.
 Am 26.Januar (1945) fuhren Schimmi und ich nochmals ins Lager, aber die Gefangenen waren schon weg, auch die Wachleute.
 Im Lager sah es bös aus, alles entbehrliche wurde liegen gelassen, sogar die ganzen Musikinstrumenten der Gefangenen. Ich nahm mir einen guten Pullover und Rasierapparat und Seife mit. Wir fuhren dann weiter in die Stadt zum Stalag (Versorgungslager). Hier bekamen wir Pakete für die Gefangenen, ich hatte nur noch Schimmi. In den Paketen war Essware und einige hundert Zigaretten. Ich hatte Essware und Schimmi die Zigaretten. Am 27.Januar (1945) schlachteten wir uns ein Schwein. Wir salzten das Fleisch ein in ein Faß, zum mitnehmen. Ich besorgte mir ein schönes Stück Fleisch. In der Unterkunft der Gefangenen machte ich Feuer und fing an zu braten. Aber die Schießerei um die Stadt wurde immer lauter und die Soldaten von der Front kamen schon ins Haus, im Keller wurde ein Lazarett eingerichtet. Jetzt bekamen wir Befehl sofort abzufahren. Gegen 10 Uhr spannten wir die Pferde ein. Mit 4 Pferden fuhren wir den Planwagen auf die Straße. Ich hatte die Kutsche. Beim Anfahren rutschten die Pferde, sie waren nicht beschlagen und der Boden war gefroren. Es dauerte eine halbe Stunde bis wir mal wegkamen. In der Stadt sollte ich die Tante mitnehmen, aber die war schon weg, alles eilte zur Stadt hinaus mit Handwagen und zu Fuß.
Um 12 Uhr nachts fuhren wir,derPlanwagen mit der Familie, Schimmi als Fahrer, ich als Fahrer der Kutsche, am Schloß Marienburg vorbei, zur Stadt hinaus. Gleich hinter derselben lief die Straße von Elbing her zur Nougatbrücke. Auf der Straße von Elbing kamen große Flüchtlingskolonnen, in diese reihten wir uns ein. Aber nun ging es nur noch schrittweise vorwärts. Oft mussten wir anhalten und warten.
Auf der Nougatbrücke war die ganze Straße verstopft und wir kamen nicht vorwärts. Der Russe war schon in Elbing. Auf einmal fielen die Granaten links und rechts von der Brücke in die Wiese.
Wir hatten nur Arbeit mit den Pferden, die bei dem Krach in die Höhe gingen und scheuten. Ein Glück, dass keine Granante auf die Brücke fiel. Wir wären alle erledigt gewesen. Um nun von der Brücke schnell wegzukommen, teilte die Feldpolizei nach der Brücke den Flüchtlingsstrom in zwei Teile. Die Einen fuhren auf der rechten, die Anderen auf der linken Straße, die sich dort teilte.
Wir mussten auf der rechten Straße fahren. Wären wir auf die linke Seite gekommen, so hätten wir nur noch 12 Kilometer gebraucht um über die neue 1 km lange Brücke nach Dirschau zu kommen.
Nun fuhren wir auf der rechten Straße weiter und kommen 2 Tage später in Dirschau an. Außerhalb der Stadt übernachteten wir in einem Bauernhof.
 Bevor wir im Stall übernachteten brannte unser Planwagen; die ganze Familie sprang schnell aus dem brennenden Wagen. Nur das ganz kleine Kind liesen sie drinn liegen. Schnell sprang ich noch mal in den brennenden Wagen, wo ich erst das Kind suchen musste. Auf einmal spürte ich ein Füßchen. Ich packte es und schnell raus. Es war höchste Zeit, aber ich kam mit dem Kind durch. Auch mein Tornister war halb verbrannt. Nun schaffte ich noch ein Faß mit gesalzenem Fleisch heraus,das wir mitgenommen hatten. Als ich später noch mal nachschaute, waren schon einige Männer und Frauen vom Dorf daran, mit Eimern das Fleisch fortzuschaffen. Aber ich habe es eingestellt.
Es war die Ortschaft  D o b l. Am nächsten Morgen fingen wir an den Planwagen wieder herzustellen. Nachdem derselbe fertig war, übernachteten wir noch mal im Ort und zwar im Stall. Dann gings wieder weiter in ein Bauerndorf. Die Familie übernachtete im Bauernhaus, ich schlief in einem Schweinstall Auf Stroh.
Morgens holte ich mir ein großes Stück Fleisch aus dem Faß, ging in ein Bauernhaus und lies es für mich braten. Schimmi und ich liesen es uns gut schmecken,den Rest bekam die Bauersfrau.
Nachdem der Russe immer weiter in Polen eindrang, waren an der Straße überall Plakate angebracht:
Jeder Soldat der zurückgeht wird aufgehängt.
Als ich durch die Ortschaft ging, begegnete mir ein Feldgendarm.
Da ich keinen Marschbefehl hatte, musste ich abends auf die Ortskommandur. Hier war ein Leutnant und Einer von der Partei.
Nachdem ich ihnen erklärt hatte, dass mein Batallon ohne mich abgerückt war und ich die Gefangenen und die Familie nach Pommern bringen sollte, musste ich den Schimmi am nächsten Tag an einen in der Nähe gelegenen Gefangenenlager abliefern. Schimmi hätte mich am liebsten nach England mitgenommen, aber das ging nicht. Nun nahm ich Abschied von der Familie und meldete mich auf der Kommandur. Ein Unteroffizier erklärte mir. Ein Glück, dass der Hauptmann nicht hier ist, sonst wäre mir allerhand passiert. Er sprach von Aufhängen. Der Unteroffizier schickte mich jetzt an die Front und zwar zurück nach Dirschau.
Zu Fuß machte ich mich auf den Weg. Es waren 20 Kilometer.
Unterwegs hielt ich einen Lastwagen an und fuhr nach Dirschau.
  Dirschau.
Hier marschierte ich in die Lützowkaserne. Es waren hier lauter versprengte Soldaten die wieder zusammengestellt wurden. Am nächsten Tag wurde ich eingeteilt in den Speicher. Dort lag alles voll mit Uniformen, Schuhe, Decken alles sogar Brillen. Ich kleidete mich neu ein, was ich alles brauchen konnte nahm ich mit. Am nächsten Tag mussten wir Vieh bewachen, der ganze Kasernenhof war vollgetrieben.
Das Vieh hatte Hunger und brüllte und wollte ausbrechen vor Hunger. Die Euter von den Kühen waren geschwollen zum Platzen. Am anderen Tag mussten wir auf die Weichsel ein Schiff ausladen, das mit Zucker beladen war. Säcke mit 1 ½ Zentner. Dafür bekamen wir reichlich Brot und Wurst.
Dirschau-Brücke
Am 13.02.(1945) kam ich mit 20 Mann an die Autobahnbrücke, die von Dirschau über die Weichsel nach Marienburg führt. Dieselbe war   1 Km lang und von Hitler gebaut worden. Dieselbe mussten wir bewachen. Wir waren 100 Meter von der Brücke in einer Baracke untergebracht. Wir mussten 500 Meter immer bis zur Mitte der Brücke auf und ab gehen, auch nachts. Das Essen war hier sehr knapp. Ich betete zum Herrgott, dass wir nicht einmal in russische Gefangenschaft kämen mit unserem hungrigen Magen.
 Und ich traute meinen Augen nicht, da lag mitten auf der Straße – Brücke ein ganzes Kommisbrot.
 Ohne von den Anderen gesehen zu werden, hob ich es schnell auf, brach es in Stücke und versteckte es unter meinem Mantel. Ich dankte Gott dafür.
Vor der Brücke stand ein Galgen zum Aufhängen. Hier waren 7 Mann aufgehängt zum Abschrecken. Jeder der über die Brücke fuhr oder lief, konnte sie sehen.
Wir bauten uns jetzt eine Stellung – Gräben vor der Brücke.
 Ein Mann und ich bekamen einen kleinen Granatwerfer. Wir schossen uns ein und zwar auf die Straße, die zur Brücke führte. (Rollbahn)
Am 07.03.(1945) kam der Russe über die Brücke, da tat es einen furchtbaren Knall und eine große Wolke ging zum Himmel. Die Brücke ging ein Stück davon in die Luft. Wir ließen den Granatwerfer stehen, packten den Tornister und Gewehr und rannten feldeinwärts. Hinter einem einsamen Haus sammelten wir uns. Auf Befehl vom Hauptmann mussten mein Kamerad und ich wieder zurück in die Stellung und holten den Granantwerfer.
Vorsichtig schlichen wir uns hin und kamen glücklich wieder zurück. Der Russe war nämlich schon vorher über die Brücke. Nun zogen wir weiter nach Dirschau.
 Dort kamen wir ins Schützenhaus. Dabei merkte ich dass mehrere Soldaten – Volkssturmmänner fehlten.
 Diese hatten immer einen großen Wäschebeutel bei sich mit Zivilanzüge. Unterwegs sprangen sie in Dirschau in die Häuser, zogen Zivilkleider an und waren nicht mehr Soldat. Im Schützenhaus wurden wir eingeteilt zu anderen Gruppen, morgens um 2 Uhr marschierten wir weiter an die Front zur 3. Kompanie der Gruppe Mühlheim. Stellung an der Rollbahn. Den Tag über hatten wir frei und betrachteten uns das Gelände. Abends standen wir Posten auf der Rollbahn, der Russe hätte uns leicht abschießen können.
Gut Georgental
Abends um 9 Uhr setzten wir uns unbemerkt vom Russen leise ab und gingen zurück in ein großes Bauerngut – Georgental-.
Hier lagen wir 2 Tage bis zum 10.03.(1945).
Abends 10 Uhr setzten wir uns ab und marschierten bis 10 km zum Bataillon. Aber wir mussten gleich wieder 10 Kilometer zurück zur alten Stellung. Um 4 Uhr sonntags morgens kamen wir wieder dort an. Ich eilte nicht, so kam ich eine viertel Stunde später dort an. Meine Kameraden standen schon auf Posten und ich sollte sie kontrollieren.
  Der 1. Posten stand neben der Straße im Loch, der 2. über der Straße, als ich über dieselbe ging, hörte ich auf der Straße her Männer marschieren. Es waren Russen. Ich rief die Posten an und warnte sie.
Sofort lief ich neben der Straße die Böschung hinauf in die Hecken, dann nahm ich meine Handgranate, zog sie ab und warf sie auf die Straße. Nachdem Knall derselben, sprang ich die Straße hinunter ins Haus, wo meine Kameraden schliefen, ich weckte sie und schnell sprangen alle heraus und beschossen die Straße, nachdem die 2 Posten hier eintrafen. 3 Mann blieben an der Straße und schossen, während wir Anderen in dem Haus uns fertig machten zum Rückzug. Mein Feldwebel und ich wollten zur Hintertür hinaus, da schossen die Russen schon aus dem gegenüberliegenden Stall auf uns. Mein Feldwebel schoß mit der Maschinenpistole eine Garbe in den Stall und ich sprang schnell in den Hof.
Als ich um´s Eck bog, fiel ich hin und kroch weiter hinter die Scheune. Mein Feldwebel glaubte ich sei tot.
Nun kroch ich in der Wiese weiter. Da sah ich vor mir Schützengräben, eine Stellung von Deutschen. Ich winkte ihnen und wurde erkannt. Sie riefen ich soll schnell zu ihnen kommen. Es war höchste Zeit, kaum war ich im Graben, da schossen die Russen auf uns.
Ich war jetzt bei ganz fremden Soldaten. Wir schossen jetzt auf das Haus auf die Fenster, wo wir vorher waren, auch die Russen schossen schon aus dem Haus. So ging es bis mittags. Auf einmal schossen die Russen, von der Seite her direkt in unseren Graben. Zum Glück hatten wir keine Verluste. Rechts von uns war im Acker ein großer Strohhaufen. Auf demselben waren 3 russische Soldaten, Scharfschützen die uns von der Seite beschossen. Unser Feldwebel schoß nun einige Leuchtspurmunition in den Strohhaufen, sofort brannte er hell auf. Wir sahen noch wie die Russen, 3 Mann in der Ackerfurche zum Haus zurückkrochen. Wir schossen fest auf sie und sahen sie nicht mehr. Wir sahen noch wie die Russen ein Pferd einspannten und hinter dem Haus eine Kanone aufstellten. Nun wurden wir stark beschossen. So ging es den ganzen Nachmittag ohne Verluste. Ich legte alles was ich nicht unbedingt brauchte in den Graben, damit ich nicht zuviel mitzuschleppen hatte. Als es langsam dunkel wurde, sammelten wir uns im Graben und marschierten weiter zurück durch einen Wald.
 Nach demselben kamen wir auf eine Straße. Da marschierten lauter zurückgehende Soldaten.
Während wir marschierten traf ich meinen Feldwebel und meine Kameraden von dem Haus. Sie glaubten alle, ich sei tot (gefallen im Hof).
 Es war dunkle Nacht. An einem einsamen Haus war Halt. Die Offiziere hatten in demselben Besprechung. Mein Feldwebel sagte ich soll immer bei ihm bleiben und an der Haustür warten bis er kommt.
Ich wartete eine Zeitlang, während sich die Soldaten verliefen.
Als Niemand mehr da war, ging ich ins Haus, aber Niemand war mehr da. Alle waren fort nur ich stand auf der Straße allein. Jetzt wohin? Da dachte ich legst dich in die Scheune nebenan und schläfst bis es Tag wird. Da hörte ich von weit meinen Namen rufen, ich ging auf der Straße in die Richtung und kam zu meinen Kameraden. Nun kamen wir an ein großes Bauerngut, das vollgestopft war mit Soldaten.
Wir legten uns auf den Fußboden und wollten schlafen. Aber sofort wurde die Gruppe „Mühlheim“ aufgerufen zur Wache. Nun gingen wir in ein Bauernhaus, jagten die Polen aus der Stube und legten uns auf den Fußboden, während 6 Mann in der Wiese einen Graben ausheben mussten zur Verteidigung. Nach 2 Stunden war ich auch an der Reihe. Wegen der Kälte nahm ich einige Decken mit in den Graben. Gegen Morgen schoss schon der Russe aus der Scheune, wo ich in der Nacht schlafen wollte.
 Als ich bei Tag abgelöst wurde, lief ich auf der Wiese und wollte ins Haus. Da fuhr ein Schuß an mir vorbei in die Wiese.
 Ich ließ mich schnell fallen und kroch auf dem Boden ins Haus. Der Russe hatte auf den Bäumen Scharfschützen sitzen, die auf Jeden schossen.
Als ich ins Haus eintreten wollte saß im Flur ein großer Wolfshund. Er ließ mich nicht weiter. Der Hund gehörte dem Bauern, der geflüchtet war, der Hund aber kam wieder zurück ins Haus.
 Nun mussten wir ihn erschießen. Im Hof lag ein totes Fohlen. Der Stall stand voll mit Vieh. Einige hatten schon Granatsplitter und brüllten. Eine Polenfrau brachte uns einen halben Eimer mit Milch. Da wir kein Brennholz hatten schlugen wir die Küchentür kaputt und verbrannten sie. Wir kochten Milch. Auch fanden wir Mehl und Mohn. Davon machten wir uns guten Mohnkuchen. Mein Feldwebel war nämlich Bäcker, er freute sich weil ich auch Bäcker war. Als es abends dunkelte, nahmen wir aus dem Stall ein Pferd, luden unser Gepäck auf und marschierten weiter zurück. Wir kamen jetzt in eine ausgebaute Stellung, ein tiefer Schützengraben auf dem Weichseldamm, aber morgens kam schon der Russe mit „Urä-Geschrei. Wir waren oben im Graben im Moment nur 2 Mann mit Maschinengewehr, wir hätten ihn nicht gehalten, wenn nicht hinter uns unsere Flackbatterie geschossen hätte. Nach dem Angriff war Ruhe und wir gingen weiter zurück in eine Stellung mit tiefem Graben.
Über Nacht war Ruhe, meine Kameraden waren lauter junge Leute im Alter von 17 bis 20 Jahren, ich war 44 Jahre. Kein Wunder dass sie Schlaf hatten, tagelang nicht geschlafen. In der selben Nacht stand ich mit den jungen Leuten im Graben. Einer nach dem Andern fiel in Schlaf und setzte sich.
 Ich ließ sie ruhig schlafen, und ging allein im Graben auf und ab, beobachtete das Feld vor mir. 2 Stunden sollte ich wachen, aber ich hatte keinen Schlaf und wachte bis es hell wurde. Also über 4 Stunden, dann weckte ich sie. Sie konnten mir nicht genug danken. Als Dank brachte Jeder einige Zigarren bis ich alle Taschen voll hatte. Nun schickte mich der Feldwebel hinunter ins Dorf  Baldau, ich sollte Kaffee besorgen. In einem Haus traf ich noch eine Frau, die kochte mir eine Kanne voll und ich trug sie in den Graben. Jetzt wurden wir von den Russen schon fest beschossen. Während ich im Graben entlang ging, stellte sich mein Feldwebel Mühlheim auf den Grabenrand und schon fiel er herunter mit einem Schuß durch den Mund und war tot. Unter Lebensgefahr trugen wir ihn ins Dorf, wo er vorne in einem Hausgarten beerdigt wurde. Wir gingen wieder hinauf in die Stellung und wurden dabei heftig beschossen. Als es abends anfing dunkel zu werden verließen wir unbemerkt vom Russen, die Stellung, marschierten zurück. Auf der Straße fuhren viele Fahrzeuge.
Wegen der schlechten Straße durften wir nicht aufsitzen. Ich hielt mich an einem Wagen fest und beim Marschieren schlief ich immer wieder ein.
 An einem großen Haus machten wir Halt, wir gingen sofort hinein und legten uns auf den Fußboden und wollten schlafen. Aber sofort wurden wir wieder aufgerufen, mussten Munition und Handgranaten fassen und abmarschieren. Im Gänsemarsch liefen wir eine Straße entlang, dann durch einen Gartenbetrieb, wobei uns erklärt wurde, dass links von uns ein Sägewerk sich befindet in dem der Hauptverbandsplatz war.
Nachdem wir den Garten durchschritten hatten kamen wir an ein Haus, da fielen aus demselben schon einige Schüsse. Wir legten an und schossen durch die Fenster. Hinter dem Haus sah man die Russen davon springen. Wir hinter ihnen her und kamen in eine Stellung. Es war ein großes kreisrundes Loch. Ein älterer Feldwebel, ein Kamerad und ich legten unsere Gewehre auf den Grabenrand und schossen in Richtung Russe. Auf einmal sahen wir, dass der Russe, einzeln über einen Bahndamm auf uns zukam. Ich schaute über den Rand, da explodierte eine Granante. Ich bekam nur Dreck ins Gesicht, wehe wenn Splitter dabei gewesen wären.
(Seite 59)
Verwundet  am 13.März 1945
 morgens 10 Uhr.
Nun waren wir vorsichtiger. Aber auf einmal tat es einen großen Knall. Eine Granate schlug bei uns im Graben ein. Ich spürte einen Stoß, griff an meinen Oberschenkel, da spürte ich Blut durch ein Loch in der Hose rinnen.
 Auch in der rechten Schulter schmerzte es. Beim Feldwebel riss es den rechten Arm weg. Ich hatte Glück, dass ich einen großen Rucksack auf dem Rücken trug, der mit Wäsche und mit einer Schachtel (50) Zigarren vollgestopft war und ich im Moment dort kniete. Die Splitter gingen deshalb in den Rucksack und nicht in den Rücken, wäre ansonst bös zerfetzt worden. In meinen Taschen hatte ich viele Verbandspäckchen, ein Kamerad hat mich gleich verbunden. Ein großer Granatsplitter ging mir in den linken Oberschenkel und blieb stecken.
(Seite 60)
Nun wurden wir vom Russen fest beschossen. Mein Feldwebel und ich krochen auf dem Bauch liegend zurück. Die Kugeln flogen uns um die Ohren. Ich warf meinen Rucksack mit Inhalt weg, auch mein Gewehr, Patronentasche, alles was ich entbehren konnte. Im Rucksack war noch meine eigene Brille und Verpflegung. Alles fort, sogar Rasierzeug. So kam ich an eine Feldscheune. Als ich hinter derselben war schaute ich zurück nach meinem Feldwebel. Aber er war nirgends zu sehen. Wahrscheinlich hatten ihn die Russen tötlich getroffen. Da ich jetzt aus der Schusslinie war ging ich weiter, trotz der großen Schmerzen im Oberschenkel. Vor einem Haus stehend sah ich den Hauptverbandsplatz. Ich humpelte weiter, da sah mich ein Sanitäter. Schnell kam er herbei und führte zum Hauptverbandsplatz. Aber die Ärzte waren schon fort.
 Ich stellte mich auf einen Wagen, konnte nicht sitzen.
So fuhren wir in die Stadt über eingefallenen Häusermauern, Backsteine usw. Ich hatte große Schmerzen. Vor einem Haus machten wir Halt. Hier war noch ein Arzt, der gab mir eine Spritze gegen Wundstarrkrampf. Dabei klaute ich mir einen Rasierpinsel. Jetzt ging es weiter in eine Kaserne, als Lazarett eingerichtet. Ich ging in den Operationssaal und wurde operiert. Den Splitter konnten sie nicht entfernen, so durchbohrten sie den Oberschenkel und steckten einen Gummischlauch durch den Oberschenkel, der vorne oberhalb vom Knie herausschaute. Dabei haben sie mir meine Taschenuhr gestohlen.
Ich konnte kaum laufen und musste in den Keller aufs Stroh. Hier waren viele Verwundete. Ein Sanitäter brachte uns Brot und Wurst, die ich in meine Tasche steckte.
 Gleich darauf kam der Sanitäter nochmals und rief: Alles raus, der ganze Bau brennt. Ich humpelte mit 2 Stecken fort. Im Hof sah ich, dass der Dachstuhl schon hell auf brannte. Wir kamen in den anderen Kasernenbau. Auf einmal abends um 10 Uhr hieß es: „In dieser Nacht noch kommt der Russe, wer noch eine Waffe hat soll sie abgeben und wer nicht hier bleiben will, kann noch fortlaufen, denn außerhalb der Stadt fahren Pferdewagen vorbei, da kann man mitfahren.
 Ein Feldwebel und ich gingen fort. Mit 2 abgebrochenen Spaten humpelten wir los. Es war schlecht zu laufen, die Straße lag voll mit Backsteine und die Häuser brannten.
 An einer Ecke stand eine Frau, die gab uns eine Tasse Kaffee. Die Frau ging nicht fort. Als wir an die andere Straße kamen fuhren die Wagen vorbei. Wir wollten aufsteigen, aber keiner blieb halten. Da zog der Feldwebel seine Pistole und legte an, sofort hielt einer an. Wir schnell hinauf und weiter ging es. Ich lag auf einem Fahrrad und hatte große Schmerzen. Als es dann hell wurde, waren wir außerhalb der Stadt. Aber jetzt kam ein Flieger, schnell rutschte ich vom Wagen in den Straßengraben. Er ließ 3 Bomben fallen die uns nicht trafen. Nun kletterte ich auf einen anderen Wagen. Dabei merkte ich, dass es bei mir furchtbar stank. Es war meine Wunde, die schwer eiterte. Dasselbe floss aus dem Schlauch in die Hose.
Ich dachte, was wird aus dem Bein noch werden. Es dauerte nicht lange da kam der Flieger wieder. Ich runter vom Wagen und neben der Straße in einen Schuhladen. Rechts und links von demselben fielen die Bomben. Hier blieb ich bis zum Abend. Die Straße führte weiter durch einen Wald. Als es Abend wurde, ging ich aus dem Haus. Vor demselben hielt gerade ein Sanitätsauto und ich stieg hinein. In demselben lagen viele Zigaretten und Zwieback. Ich stopfte mir alle Taschen voll. Aber das Auto konnte nicht weiterfahren. Die Straße lag voll mit toten Soldaten und Bäume. Ich stieg aus und erkundigte mich wie weit es noch ist bis zum Wasser (Weichsel).
(Nr.65)
In Heubude
Ich kam auch gleich ans Wasser, da hieß es, lauf noch 5 Kilometer, dann kommst du an die Fähre. Es war Nacht. Mit 2 Stecken lief ich immer am Wasser entlang, endlich kam ich an einen Platz, voll mit Wagen, Zivil und Soldaten. Da hörte ich gerade ausrufen: die Fähre ist kaputt, in einer Stunde fährt sie wieder. Ich stellte mich vorsichtshalber in einen Graben, da kam auch wieder der Flieger und warf 3 Bomben. Diesmal mitten unter die Leute. Es war ein großer Jammer. Auf einmal wurde ausgerufen: Die Fähre geht wieder, nur für Verwundete. Sofort humpelte ich dorthin, bekam noch den letzten Platz zum Stehen.
 Nicht lange dauerte die Fahrt und wir waren am anderen Ufer der Weichsel. Hier waren Gräben ausgehoben, wir gingen in dieselben und sollten warten bis ein Sanitätsauto uns holt. Aber es kam keines und wir humpelten weiter. Unterwegs sahen wir das Sanitätsauto, es war kaputt. Ich ging weiter allein, vor dem Dorf Bohnensack lag auf der Straße ein Toter. Ich kam an die ersten Häuser, da kamen Flieger. Ich schnell in ein Haus, da fielen die Bomben.
 Ich wartete bis alles ruhig war und ging hinunter ans Wasser (Ostsee). Es war morgens 4 Uhr. Sofort ging ich an ein kleines Schiff, aber ein Unteroffizier ließ mich nicht aufsteigen, es war voll beladen mit Soldaten. Nachdem der Unteroffizier weggegangen war, hob mich ein Soldat hinauf aufs Schiff und schnell zog ich den anderen Soldat auch hinauf.
Auf dem Schiff lagen wir nebeneinander wie Heringe. Es war morgens 5 Uhr als wir abfuhren.
(67)
Halbinsel Hela
Wir fuhren in die Ostsee hinaus. Überall schwammen tote Fische. Links von uns lag die Halbinsel Hela.
Da sahen wir auf einmal viele Kreigsschiffe. Wir fuhren an ein großes Lazarettschiff heran. Die leute davon ließen uns Wasser herunter zum Trinken. Aber wir kamen nicht in dieses Schiff, fuhren weiter an ein großes Frachtschiff namens S.Mates, ein italienisches Schiff.
Wir wurden immer 4 Mann mit einem Kran hochgehoben und dann ins Schiff hinunter auf den Boden gelegt. Ich nahm 2 Schwimmwesten, eine unter den Kopf, die andere um den Bauch. Eine große Leiter ging zum anderen Stock hinauf. Derselbe war nur mit Brettern belegt und war ganz mit Verwundeten belegt alle auch auf blanken Bretterboden. Manchmal lief ihr Wasser auf uns hernieder.
Neben mir lag ein Soldat dem waren beide Augen verbrannt. Der Andere neben mir hatte ein Loch im Rücken. Am nächsten morgen weckte ich ihn, aber er war tot. Er wurde in ein Zelt gewickelt hochgezogen und im Meer versenkt. Nun bekamen wir zum ersten mal Gerstensuppe. Wir hatten kein Essgeschirr, keine Löffel, nur ein paar Konservenbüchsen. Aus diesen tranken wir unsere Suppe. So ging es 8 Tage lang. In meiner Tasche hatte ich noch Zwieback vom Sanitätsauto. Ein Glück.
(69)
Kopenhagen i. Dänemark
Nach 8 Tage auf dem Hungerschiff, es waren 5000 Soldaten, fuhren wir in den Hafen von Kopenhagen ein.
Hier wurden wir ausgeladen und mit dem Kran auf das Pflaster gelegt. Nach einiger Zeit kam ein Lazarettzug. Wir wurden hineingetragen in schöne Betten mit samt dem Anzug hineingelegt.
Da meine Wunde sehr eiterte und alles in das Hosenbein floß, das unten zugebunden war, nahm ich ein Messer schnitt das Hosenbein über dem Knie ab und warf es bei der Fahrt zum Fenster hinaus. Unter die Wunde legte ich altes Papier. Der Mann neben mir war morgens tot, er hatte keine Spritze gegen Wundstarrkrampf bekommen.
Fahrt nach Deutschland
Wir fuhren weiter und kamen an ein Wasser. Der Lazarettzug fuhr auf eine große Fähre, die mit dem ganzen Zug ans andere Ufer fuhr. So fuhren wir weiter bis nach
Orschersleben.
Hier wurden wir ausgeladen und kamen in die Oberschule als Lazarett eingerichtet. Es war der 09.April 1945.
Schon am 11 April kam der Engländer und besetzte die Stadt. Wir hatten abends in unserer Stube das Licht noch brennen, schon schoss der Engländer einige Schüsse gegen das Haus. Schnell das Licht aus und ins Bett und zugedeckt. Weiter merkten wir nichts davon.
Am anderen Morgen bekam jeder von uns eine Kiste Zigarren. Unsere Sanitäter hatten die neben anstehende Zigarrenfabrik ausgeräumt. Die hier lebenden Polen räumten die Wurstfabrik aus. Aber wir bekamen nichts davon. Wir hatten hier großen Hunger, bekamen mittags nur einen Teller Suppe, abends 3 Schnitte Brot.
Vor Pfingsten besetzten die Amerikaner die Stadt. Sofort war das Essen besser. Am 16.April 1945 wurde der Gummischlauch aus der Wunde gezogen. Nach einigen Tagen hatte ich nachts große Schmerzen. Morgens sah ich, dass der Splitter aus der Wunde heraus war.
 Jetzt ließ die starke Eiterung nach und ich hatte keine Schmerzen mehr. Am 10. Mai 1945 zum ersten mal mit Krücken um den Tisch. Mein Bein war ganz eingezogen und ich konnte es nicht gerade machen.
Das Bein wurde jeden Tag massiert und so konnte ich am 15.April 1945 mit 2 Stöcken in den Hof.
Am 10.Juni 1945 konnte ich wieder ohne Stock laufen. Ich lief jeden Morgen ein paar Mal um den Schulhof. Am 27.Juni 1945 wurde ich verlesen und mit einem Lastauto fortgefahren. Wir dachten es geht heim, aber wir kommen in ein Lager (Zachau).
Am 01.Juli 1945 Sonntag früh 4 Uhr wurden wir geweckt.
Der Russe besetzte Thüringen. Wir liefen ihm davon, die Straße war voll mit Soldaten. Eine Frau schaute unterwegs an einem Fenster raus, die gab mir Kaffee mit Kuchen. Wir marschierten bis abends 35 km und kamen über die Grenze zum Amerikaner.
 Der schickte uns in die nächste Bauernortschaft  ( Danntopf).(Nr.73).
 Wir gingen in eine Scheuer (Scheune) auf Stroh. Morgens kochten wir in der Waschküche einen Kessel voll Kaffee. Hier blieben wir bis zum 6.Juli 1945, dann marschierten wir weiter nach Ampleben in eine Scheune.
Am 09.Juli 1945 weiter nach Kneitlingen                    ( Geburtsort vom Eulenspiegel).
 Hier halfen wir den Bauern beim Erbsenpflücken, kauften uns von demselben Kartoffeln, die wir selbst rausmachten.
Einen Zentner bezahlten wir und den anderen holten wir heimlich vom Acker. Kartoffel und Erbsen kochten wir im Kessel und lebten gut. Für unsere Arbeit bekamen wir vom Bauer einige Mark und Lebensmittelkarten. Nach einigen Wochen hieß es, sämtliche Mainfranken…jetzt Unterfranken mögen früh antreten zur Entlassung. Ich marschierte mit einigen Kameraden ab. (Wohin)
Als wir hier ankamen, nachmittags gings wieder in eine Scheune, dabei traf ich auf einen Kirchzeller…Leo Schwarz und einen von Buch. Nun hielten wir zusammen bis wir daheim waren.
Wir bekamen dann von den Amerikaner unsere Entlassungspapiere, wurden am nächsten Tag in einen Güterzug verladen und fuhren ab.
In Marburg hielt der Zug, neben einem Lager mit Stacheldraht.
Wir glaubten da kommen wir jetzt hinein, deshalb stiegen wir 3 Mann aus und stellten uns hinter eine große Holzarke.
Wir wollen lieber heim laufen als ins Lager. Auf einmal hieß es einsteigen, der Zug fährt direkt nach Würzburg. Wir schnell hinein und ab ging es. Gegen Abend kamen wir in Aschaffenburg an.
Aschaffenburg
Im Bahnhof Aschaffenburg stiegen wir 3 Mann aus und legten uns in einen leeren Güterwagen in den es hereinregnete. Wir schliefen wenig vor lauter Freude. Als es hell wurde stiegen wir aus und rasierten uns mit dem Regenwasser.
Hernach ging der Zug ab nach Miltenberg. Aber wir kamen nicht weiter, in Elsenfeld war die Bahnbrücke gesprengt. Mit einer Fähre fuhren wir über den Main nach Wörth. Hier gaben wir einem Lastwagenbesitzer einige Mark, der fuhr uns bis Miltenberg. Er hatte wenig Benzin. So liefen wir zu Fuß gegen Breitendiel.
Unterwegs kam ein Auto, das nahm uns mit bis Amorbach.
Nun ging es wieder zu Fuß, am Seegarten fuhr mit Motorrad Röthlein von Amorbach vorbei. Derselbe fuhr nach Kirchzell und verkündete meiner Familie, dass ich komme.
 An der Pulvermühle kam schon Ludwig mit Fahrrad, um mich abzuholen.
An der neuen Schule kam dann auch Erhard und die Mädchen Albine und Helmdrut ( richtig ist Helmtrud).

 Als wir an unsere Haustüre kamen stand da ein kleiner Bub mit weissem Lockenkopf.
Es war W e r n e r  im Alter von 1 ½ Jahren.
Ich hab ihn gesehen als er 4 Wochen alt war. Er gab mir die Hand und sprang davon. Er wollte von mir nichts wissen. Es dauerte eine Zeit bis er sich an mich gewöhnte.

Nun gab es zum ersten mal wieder was Warmes zu essen und groß war die Freude, dass ich gesund wieder nach Hause kam.



Rudolf Zipp  1972



Hier ein Erlebnisbericht der Bauersfrau.
Das Hofgut in Pommern ( Kreis Dirschau) war von einem Polen gepachtet.
Eine Flucht über die Halbinsel Hela bzw. mit dem Schiff über die Ostsee war nicht mehr möglich.
So zogen sie nach Osten.. Marienburg....Elbling.....Richtung Königsberg.


  Nördlich Karthaus Zusammentreffen mit russischen Truppen, langwierige Rückkehr nach Schönwiese.
                Strahlend geht die Sonne auf an diesem klaren, eiskalten Wintertag des 24. Januar 1945. Dampfend von der Wärme des Stalles werden unsre Pferde vor unsern schon am Abend vorher vollgepackten Flüchtlingswagen gespannt, ein langgemachter Leiterwagen mit einem schützenden Verdeck. Noch schnell die Pökeltonne mit dem 4-Zentnerschwein heraufgeschafft, das noch am Abend vorher geschlachtet wurde. Kaum können es die dickvermummten Kinder erwarten, auf den Wagen gehoben zu werden; denn sie denken, es geht auf eine Spazierfahrt. Wie blühend und gesund sie aussehen, sind sie doch noch nie jemals im Leben krank gewesen. Alle drei blond, blauäugig und rotbäckig, der gerade acht Jahre alt gewordene Gerhard, der bald 7jährige Heini und die rundliche 3 3/4 jährige Gretchen. Mir ist das Herz schwer, als ich den Wagen besteige und zumute, als steige ich in mein eigenes Grab. „Du wirst kein eignes, selbstgebackenes Brot mehr in Deinem Leben essen”, durchzuckt mich ein Gedanke, als der Wagen durchs Hoftor rollt.
  Schwer fällt mir der Abschied von unsrer zweiten Heimat, unsrer Pachtung in Rokitten, Kreis Dirschau/Westpreußen, wohin mein Mann seit 1940 aus Ostpreußen als Wirtschaftsberater für die Volksdeutschen aus Beßarabien und dem Warschau-Gebiet von der Landesbauernschaft Danzig-Westpreußen dienstverpflichtet ist. Deshalb darf mein Mann uns jetzt auch nicht begleiten, erst wenn Rokitten von der Wehrmacht geräumt wird, darf er fort. So haben wir jetzt den „guten” Valeri, den Zivilrussen, „Ostarbeiter”, als Kutscher mit, der leider gelernter Chauffeur ist und keinen Pferdeverstand hat. Deshalb lenkt mein Mann mit sicherer Hand unser schwankendes Gefährt mit den übermütigen Pferden durch die hohen Schneewälle des Landweges bis auf die Hauptchaussee, um dann Abschied von uns zu nehmen. —Schritt für Schritt fahren wir nun im langen, endlosen Flüchtlingszug gen Westen. Dumpfer Kanonendonner grollt schon seit gestern von Marienburg. Gleich wird der Russe die Zange um Pommern schließen, berichtete uns heute nacht ein Stabsoffizier. „Nur schnell durch bis Mecklenburg”, nehme ich mir vor, — wenn die Straße nur nicht so verstopft wäre, oft müssen wir Flüchtlingswagen stundenlang halten, um Wehrmachtsfahrzeuge durchfluten zu lassen, so daß wir am Abend nur ganze 6 km gefahren sind.
  „Es ist doch keine Vergnügungsfahrt”, merken die Kinder, als wir abends in einer mit Flüchtlingen dickbelegten Stube auf dem Fußboden schlafen.
 So fahren wir fünf Tage durch. Schneesturm mit über 20° Frost setzt ein. Unvergeßlich ist mir die Nacht, als wir wohl bis gegen 2 Uhr morgens vor Berent (Westpr.) stehen; die Straße wieder dick verstopft. Valeri, unsre Perle, wieder vom Wagen fort, trinkt Schnaps mit den Ostarbeitern der andern Flüchtlingswagen, die Kinder durchgefroren und unglücklich, obgleich sie tief in Betten verpackt sind, aber der Schnee dringt durch alle Ritzen. Die Pferde sehen schon ganz zottig und schubbrig aus, obgleich wir genug Hafer mithaben. Dann läßt man uns nicht weiter nach Westen fahren, weil die Russen wohl schon die Zange um Pommern geschlossen haben; d. h. wäre mein Mann mit uns gefahren, wären wir auf Umwegen immer noch nach Mecklenburg gekommen. Jetzt müssen wir nördlich nach Kreis Karthaus (Westpr.) abbiegen, und wir halten uns jetzt in Schönberg auf, bis dann auch dieser Ort vom Zivil geräumt werden muß und wir uns in der Nacht zum 7. März wild auf die Flucht machen müssen, da die ersten Granaten schon hinter uns krachen. Unser guter Valeri ist nur mit Mühe und Not von mir zu überreden, den Wagen zu fahren, und widerwillig und noch nachlässiger als sonst versieht er seinen Posten.
  In wilder Flucht geht es nun über bergige, vereiste Waldwege (denn die Hauptstraßen hat der Russe schon alle) in Richtung Gotenhafen, denn man will uns vielleicht doch noch Gelegenheit geben, uns einzuschiffen.
 Da droht uns der Russe schon in einer kleineren Stadt zu umzingeln, jedenfalls ist in dem Ort so ein Tohuwabohu, daß unser Wagen mit andern so eingeklemmt ist, daß wir nicht weiter können. Ich lasse Valeri an dem Wagen, packe nur die Betten und etwas Lebensmittel auf einen Wehrmachts-LKW. und fahre mit den Kindern davon mit noch andern Frauen. Fahren stundenlang nur durch Wälder und wüste Gegenden, immer in der Nähe der Front. Unser und auch die Chauffeure der andern LKW. sind Russen, die auf deutscher Seite kämpfen. Vor einer Lichtung halten plötzlich alle Autos, alle Chauffeure springen von ihren Sitzen und lassen lange und ausgiebig ihre Schnapsflaschen kreisen. Ich habe das Gefühl, jetzt wird es brenzlig, sie trinken sich Mut an. Und richtig, kaum springt unser Wagen an, schießt sich die feindliche Artillerie gut auf uns ein. Soldaten fallen, Pferde wälzen sich in ihrem Blut. Das Dach unsres Autos hat ein großes Loch. Im Nu ist die Straße verstopft, und das feindliche Feuer konzentriert sich noch mehr auf uns. Geistesgegenwärtig biegt unser Fahrer auf das freie Feld aus, um dem Dilemma zu entrinnen, doch die warme Märzsonne hat die Erde schon aufgetaut, das Auto bleibt stecken.
 „Raus, die Weiber, schieben”, brüllt er, im Nu gehorchen wir und kommen vorwärts, in sausender Fahrt jagt das Auto davon. Ich klammere mich an der Klappe fest und lasse mich nachschleifen, um nicht mit meinen Kindern auseinanderzukommen. In Deckung des Waldes warten wir dann auf die andern Frauen. Doch nun kommen wir nicht mehr weiter, alle Autos fluten vorbei, wir bleiben stehen. Der Russe ist auch fort vom Steuer, ein deutscher Leutnant hat jetzt seinen Platz, — nein, wir können nicht weiter, der Kühler hat einen Granatsplitter abbekommen. — Wir sitzen nun gottergeben die ganze Nacht im Auto bei heftigstem Schneesturm und Geschützdonner. Im fahlen Morgenlicht wird alles ruhig und still. Ein verirrtes Auto erbarmt sich unser und nimmt uns ins Schlepptau. Es geht nur im Schneckentempo, da — von neuem ganz in der Nähe Beschuß, meine drei Kinder haben sich eng an mich gedrückt, haben alle weiße, verzerrte Gesichter. Ich bete immer, daß wir alle auf einmal tot wären, wenn wir sterben müssen. Uns gegenüber hat sich ein Flaksoldat eingefunden, der sich immerfort mit einer jungen Frau küßt. Widerlich. „Russische Panzer von vorn gemeldet”, schreit der Leutnant von vorn uns zu. „Wenn ich rufe, alles rausspringen, sich kleines Handgepäck bereitlegen.” — Mit zitternden Händen packe ich etwas Brot, Speck, etwas Reis, Zucker und Verbandstoff ein und gebe dem Ältesten eine warme Decke zum Halten.
 Plötzlich ein Krachen und Donnern, vom Auto vor uns loht eine Stichflamme hoch. „Raus!” Wir springen wie die Irren vom Lastkraftwagen runter, laufen, was wir können, von der Straße fort in den dichten Wald, — nebenbei ein Dorf, das brennt und in dem geschossen wird; auch die Bewohner des Dorfes fliehen in den Wald. Ich werfe mich mit den Kindern auf den Waldboden. — — — Da sehen wir schon hinter den Bäumen die braunen Uniformen mit den ekligen Pelzmützen wie die Katzen angeschlichen kommen. „Jetzt werden sie uns runterknallen”, denke ich.
 Da heben alle zum Zeichen, daß sie sich ergeben, die Hände und wir natürlich auch. „Der Chitler (sprich langes i) und die Chitler!”, geht das Denunzieren der Pollacken los, und die Betreffenden werden sofort festgenommen. „Ihr jetz Ruuskis”, dolmetscht uns ein Russe. Sofort nimmt sich unsrer ein russisches Flintenweib an: „Alle mit!” Durch einen reißenden Bach müssen wir noch waten, dessen Wasser den Kindern bis zu den Hüften reichen würde. Alle über sechs Jahre müssen allein durch. „Is gutt für Gesundheit”, befiehlt die Russin; ich benutze das Durcheinander, um alle drei rüberzutragen; haben dadurch den Anschluß verloren, wir irren dann allein mitten im tollsten Maschinengewehrfeuer herum, die Erde spritzt uns nur so um die Ohren, nehmen überhaupt nicht Deckung, haben keine Angst, sind ganz abgestumpft, als ob uns das alles nichts angeht.
 — Da endlich, ein entlegenes Haus eines Dorfes, um das sich unglückliche Leidensgenossen scharen, nein, das Polenweib läßt uns die Küche nicht betreten, wo ich um etwas warmen Kaffee für meine Kinder bitten will. „Da — soviel zu trinken”, und zeigt auf ‚den Schnee, denn ein Brunnen ist nirgends zu finden. Das arme kleine Gretchen wird bald schneeweiß infolge der furchtbaren Strapazen, und es stellt sich blutiger Durchfall bei ihr ein. Bald geht das Plündern los. Ein feister Zivilrusse zieht mir den Trauring ab und befiehlt mir, bis zum Abend in dem einen Raum zu bleiben. Als er  sich entfernt, benutze ich die Gelegenheit, auszureißen. Wieder in den Wald. Bloß fort. — Als es anfängt, dunkel zu werden, finden wir auf einer Anhöhe, ganz einsam liegend, ein halbzerschossenes Haus. „Kommt her”, ruft uns ein Pollackenweib entgegen, „Trinken warmen Kaffee für eure Kinder”, überaus freundlich. Das Haus ist schon angefüllt mit Flüchtlingen, und immer mehr strömen herbei. Tatsächlich, warmer Kaffee! „Gibt es doch noch edle Menschen?”, denke ich, und es kommt mir nicht geheuer vor. Als wir dann noch eine Kleinigkeit von unserm bißchen Brot „von Hause” gegessen haben und es ganz dunkel geworden ist, eröffnet uns das Weib: „So, Kinder, jetzt kommen russische Soldaten und Offiziere schlafen.” Und bald ist das Haus voller Russen, die ausgehungert wie die Wölfe sind.
 Ich verlasse sofort die große Stube, wo die meisten Menschen zusammengepfercht sind, und lege die Kinder neben den Herd in der Küche auf den Fußboden zum Schlafen hin. Sofort drückt mir das Pollackenweib eine Bratpfanne in die Hand: „Du so sauber aussehen, diese Offizier sagen, Du für ihn Abendbrot machen”. Schmalz, gute ostpreußische Rauchwurst zum Braten. Nur ist der Russe ungehalten, daß ich nicht mit ihm mitesse. Um ihn nicht zu sehr zu erzürnen, trinke ich einige Schlucke vom schwarzen Tee „mit Zucker”. . . . Auf seinen Befehl muß ich auch meinen Kindern etwas von diesem lukullischen Mahl anbieten, aber die sind nicht wach zu kriegen aus ihrem bleiernen Schlaf. — Dieser Russe ist jedenfalls ein anständiger Mensch, er hat ein Gesicht wie ein deutscher Mann und sticht ab gegen die teuflischen Mongolenfratzen der andern; denn als die Russen satt sind, kommt der Schnaps heran, und man merkt, wie sie systematisch aufgehetzt sind zum Haß und Sadismus gegen uns:
 Sie zeigen nämlich Bilder herum, wie deutsche Soldaten auf viehische Art in Rußland russische Frauen und Mädchen ermordet haben. Und was nun folgt, ist nicht mit Worten zu beschreiben. Wäre ich ein Komponist, würde ich diese Nacht als „Symphonie des Grauens” schildern. — Die elende Petroleumlampe ist erloschen, alles spielt sich im Dunkeln ab. Draußen, nicht weit fort, tobt die Front. Plötzlich ein Brüllen und Schreien, Bitten und Beschwören bei den Vergewaltigungen.
 Ein halb irrsinniger Schrei in grauenhafter Angst: „Hilfe, Hilfe, Flüchtlinge!” — Dann scheint mir mein Blut in den Adern zu erstarren vor Angst, als ich nebenbei in der großen Stube den Verzweiflungsschrei einer Mutter höre: „Quält uns die Kinder nicht,” — dann ein Brüllen und Schreien, Herausschleifen aus dem Haus, draußen ein schrilles Quieken und stoßweises Wimmern. — Was ist los? — Ich will ins Freie. — Die Russen, die mit uns in der Küche sind, lassen es nicht zu. Sollte es denn tatsächlich der Fall sein, daß die Russen uns die Kinder fortnehmen, wie es die Zeitungen in der letzten Zeit immer schrieben, — und sie uns die Kinder womöglich quälen, oder quälen sie ein Kind, weil sich eine Mutter nicht vergewaltigen läßt? — Da — „Jetzt kommen wir mit unsern Kindern heran”, flüstert die Stimme eines jungen Weibes neben mir, auch in höchster Erregung. „Unser Leben hat sowieso keinen Zweck mehr”, durchzuckt mich ein Gedanke, „Darf ich meine Kinder bei mir behalten, bringe ich sie doch nicht durch die Hungersnot und, wenn ja, werden beide Jungen später auch in solch braunen Uniformen stecken, und das liebe kleine Mädel wird früh eine Prostituierte sein, da hilft nur eins: Sterben
 Doch in dieser Symphonie des Grauens müßte immer wieder ein Motiv wiederkehren, das einen beruhigenden, tröstenden Einfluß hätte wie z. B. das herrliche Motiv des Pilgerchors in der Ouvertüre von
 „Tannhäuser”, das die Stimmen der Unterwelt übertönt, und mein Motiv müßte bedeuten: „Gottes große Güte ist viel größer als das Grauen, ist größer, als du armer, elender Mensch es je begreifst.” — „Doktor”, brüllt jemand, „zum Verbinden”, und der Lauf eines Gewehres ist auf mich gerichtet. „Was Deine Mann?” dolmetscht ein Pollack, und einem Mißverständnis verdanke ich mein Leben, denn meine Antwort von Kreisbauernschaft wiederholt er mit: „Er arbeitet beim Bauern?” „Ja, beim Bauern,” sage ich; „Dann bleibst leben.” Die nächsten Tage irren wir durch zerschossene Dörfer, wo in fast jedem bewohnbaren Haus ein Pollack wohnt. Mein armer Kopf ist ganz wirr. Auch fällt mir das Tragen des bald 4jährigen Gretchens sehr schwer. Gerhard und Heini sind sehr tapfer. Beim Betteln haben wir wenig Glück. In der Gegend von Neustadt (Westpr.) sind wir. — Ganze Avitos voll Kommißbrote finden wir, aber leider von der deutschen Wehrmacht beim Rückzug verätzt, mit einer stinkenden Flüssigkeit übergössen. Ich röste das Brot auf der Pfanne an. Bald bekommen wir vier Durchfall und werden infolge der unregelmäßigen Ernährung und der Strapazen ganz müde und elend.
 Mittags, wenn wir uns in der Sonne im Straßengraben ausruhen, sind die Kinder gar nicht mehr weiterzubekommen. Morgens, wenn wir zerschlagen und elend in irgendeiner Scheune aufwachen, ist den Kindern so schwindlig, daß sie beim Aufstehen immer taumeln.
Bald sind wir total verlaust: Kopf- und Kleiderläuse. Immer nach Osten wandern wir zurück, Flüchtlinge in großen Mengen, Ostpreußen, die „nach Hause” gehen, denn nach Westen läßt uns der Russe nicht durch. Wir wandern auf der Autobahn nach Dirschau. — Unvergeßlich ist mir da eine Nacht: Den ganzen Tag im Regen gegangen, total durchnäßt, nichts Warmes im Magen, es dunkelt, kein Haus in Sicht. Da stoßen wir auf einen großen Flüchtlingshaufen, die sich entschließen, die Nacht im dichten Wald zu verbringen. Endlich hört der Regen auf. Tannenzweige brechen wir ab und legen unsre einzige Decke herauf, auf die Decke dicht aneinander lege ich die Kinder mit meinem Mantel bedeckt (denn ich habe zum Glück den schweren, guten Mantel meines Mannes genommen) und lege mich voller Angst neben sie: Werden sie auch diese Strapaze überstehen? Klarer Sternenhimmel, Frost, in der Ferne das Grollen der Front, nicht weit entfernt Hundegebell. Werden uns die Russen mit ihren Spürhunden finden? Alle Flüchtlinge verhalten sich ganz ruhig, nur das Schreien und Wimmern der Säuglinge, die ohne Milch ja dem Tod geweiht sind, schneidet einem ins Herz. — Ich friere schauderhaft ohne Mantel, weiß mir aber zu helfen und erwärme mich immer dadurch, daß ich in gewissen Abständen Kniebeugungen mache. — Doch auch diese Nacht hat Gott uns geholfen zu überstehen.
 Nur war es am Morgen sehr schwierig, den Kindern die total gefrorenen Schuhe anzuziehen. Furchtbar ist dieser Leidensweg „nach Hause” besonders für die alten Leute. So ist mir und meinen Kindern besonders ein altes, einfaches Frauchen aus Schönwalde bei Tiefensee/Zinten in Erinnerung, die sich mit Macht an uns zu klammern sucht. Wenn wir abends in einem Elendsquartier ankommen, suche ich in wüsten Kellern oder Mieten Kartoffeln und koche sie für uns alle ab. Ruhen wir uns am Tag öfter am Weg aus, läuft das arme alte Weibchen mit ängstlichen, trippelnden Schritten schon weiter, um ja mit uns mitzukommen. Verlaust und verkommen ist sie genau so wie wir. Nach ein paar Tagen zwingt sie sich nicht weiter, ist nicht dazu zu bewegen, wenigstens bis zum nächsten Dorf, das nicht mehr weit ist, zur Nacht mitzukommen, bleibt unter einem Strauch an der Straße liegen. — Bald merke ich, daß es gefährlich ist, im großen Flüchtlingszug zu gehen; denn alle Frauen, die zur Arbeit tauglich erscheinen, werden von den Russen auf der Straße aussortiert, verschleppt, und deren Kinder bleiben allein zurück. Eines Abends treffe ich in einem Elendsquartier ein dickes, ordinäres Weib aus dem Kreis Heiligenbeil, die drei rotznasige eigne Bengels und noch drei hübsche blonde Jungen aufgelesen hat, deren Mutter verschleppt wurde.
       Diese sechs Jungen müssen am Tag bei den Russen Brot betteln, „denn alle sechs dobrze, ruuski Soldatas werden”, erklärt sie den Russen immer wieder. — Ich werde klug, gehe immer mit den Kindern allein, dazu gehört viel Mut! Ist ein russischer Posten in Sicht, fange ich noch an zu lahmen. Auf die Frage: „Frau, wo Dokumente?” ziehe ich seelenruhig meine deutsche Kennkarte, die die Russen stets verkehrt halten. „Pascholl”, die Sache ist erledigt. Damit ihnen mein guter Mantel nicht so begehrenswert erscheint, habe ich oben am Aufschlag die Klappen tief durchgeschnitten, so daß bei jedem Schritt die ausgefranste Steifleinwand auf- und zuklappt. (Es lohnt nicht, eine Frau zu verschleppen!) Ich merke, daß die Kinder schon recht schwach geworden sind, und auch ich bin todmüde. Wie lange werden wir diesen Elendsmarsch noch durchhalten? — Es ist bald Ostern. „Mama, wir wollen nach Hause!” — Unser Zuhause? — Mein Mann ist ja stets den Polen gegenüber tolerant gewesen, — niemand hat einen Haß auf uns gehabt, — vielleicht nimmt uns ein guter Mensch in Rokitten auf, — und wir biegen von der Hauptstraße nach Rokitten ab. Kaum sind wir im Dorf, steht der Gewaltige von Rokitten vor uns, Balomonczek, vor dem selbst alle Polen dort zittern, er, der sich seit 1939 als Partisan in den Wäldern versteckt hielt und dessen Besitzung mein Mann gepachtet hatte, steht vor mir, das Gewehr auf dem Rücken, am Arm die weiße Binde der Polen, — in
knallroten Filzpantoffeln. Das werd' ich nie vergessen: „Frau, wo Deine Mann?!” — „Ich weiß nicht, sicher tot. Laß mich hier in Rokitten arbeiten.” — „Fort, raus aus Rokitten, nach Dirschau zur russischen Kommandantur Dich melden, hab' ich Befehl!” — Und dann beeindruckt ihn wohl doch unser Elend, — sei es, daß er sich daran erinnert, daß mein Mann seine Familie gut behandelt hatte während seiner Partisanenzeit, — jedenfalls übergab er mich nicht der GPU., wie er es wohl hätte tun müssen, — sondern rät mir, so schnell wie möglich in unsre Heimat Ostpreußen zu fliehen. Eine Nacht dürfen wir sogar noch in Rokitten in einem einsamen Insthaus verbringen, allerdings mit niemand sprechen. Als wir im Morgengrauen das Dorf verlassen, hat sich hinter dem Dorf eine Frau versteckt, die all' die Jahre bei uns gearbeitet hatte, Frau Czaja, und übergibt mir für jeden ein Stück Brot und drei schöne Eier, obgleich das für sie nicht ungefährlich war. Nur schnell über die Weichsel! Das ist leichter gesagt als getan, denn die Eisenbahnbrücke dicht an der Stadt ist gesprengt, ebenso die „Kniebauer- brücke, die unsre Deutschen nach dem Polenfeldzug gebaut haben. So bleibt uns nichts andres übrig, als die 60 Kilometer südlich von Dirschau entfernte Brücke in Mewe zu benutzen. — Viele Pollacken setzen die Ostpreußen mit Ruderbooten über den Fluß, aber nur gegen mindestens zehn Pfund Speck.
 Wir haben keine Chancen, weil wir nichts besitzen. — Doch wie erstaunt und wie erfreut sind wir, als uns bei Klein-Schlanz (20 Kilometer südlich Dirschau) ein Pole auf seinem vollgepackten Boot mitnimmt, obgleich wir ihn gar nicht darum gebeten haben. Zum Dank gebe ich ihm meine schöne Angora-Strick-jacke, die ich anhabe. Verlaust ist sie sowieso! Bis über die Knie versinke ich im Schlamm, als ich am andern Ufer meine drei Kinder an Land trage. Hochwasser an der Weichsel! „Gerettet von den Pollacken”, denke ich. Wir sind in Ostpreußen! Doch nach einigen Minuten sprengt ein Russe auf einem Pferd auf uns zu. „Dawai, dawai”, nicht schnell genug können wir ihm laufen bis zum nächsten Dorf. Heini weint immerfort, solche Stiche hat er in der Brust. — Wieder auf die russische Kommandantur zum Ausplündern. Bei uns ist nichts mehr zu holen. — Wir sind jetzt so erschöpft, daß wir zwei bis drei Tage hier in Groß Montau (denke ich, hieß das Dorf) bleiben. Es sind noch Kartoffeln in den Mieten, und die Kinder schlafen auch am Tag wie tot, hausen in einem wüsten Haus mit andern Flüchtlingen. Die Nächte sind hier ruhig, die russische Kommandantur ist in der Nähe, und der Kommandant muß wohl ein vernünftiger Mensch sein. Eines Abends spricht mich eine Flüchtlingsfrau (Anfang 50) an. Ich wundere mich, daß sie so undeutlich durch die Nase spricht.
 Wir kommen ins Gespräch: Bezirksbauernführer wäre ihr Mann gewesen im Gr. Werder (Delta zwischen Weichselarm und Nogat). Als die Russen sie vergewaltigten, wäre ihr Mann ihr zu Hilfe geeilt. Dafür hätten sie ihr das Nasenbein eingeschlagen. Auf der Kniebauerbrücke hätte sie gestern mit ihrem Mann gestanden: „Laß uns runterspringen, dann hat die Qual ein Ende”, hat er sie gebeten. Doch der Gedanke an ihre Kinder hat es verhindert.
 — Nun ist sie so unglücklich, daß sie es nicht zugelassen hat, denn eben haben sie ihren Mann fortgenommen, im Keller der Molkerei sitzt er. Um sie zu trösten, gebe ich ihr von meinem erbettelten Fleisch und Milch ab, denn meine Kinder sind heute so elend, daß sie nichts essen können, und ich denke, was ich heute abgebe, gibt Gott mir morgen wieder, und erfreut schleicht sie sich abends im Dunkeln fort, um ihrem Mann etwas durchs vergitterte Kellerfenster zu geben. — Dann gehe ich mit den Kindern die Autobahn entlang, in Richtung Marienburg. Es ist immer dasselbe Bild auf diesem Weg des Elends: Auf der einen Seite des Weges, fast dicht am Chausseegraben, wandern wir Flüchtlinge ostwärts, viele haben ihr elendes Gepäck auf Handwagen, Kinderwagen oder Kindersportwagen geladen, ein Pferdefuhrwerk der Flüchtlinge sieht man jedenfalls niemals. In der Mitte der Straße braust rücksichtslos fahrend der russische Nachschub mit Lastautos, auf die vielfach Schlauchboote geladen sind. Fast jedes Lastauto hat ein Geschütz angehängt.
 Natürlich fahren russische LKWs. auch in entgegengesetzter Richtung, von Westen nach Osten. In einem Siedlungshaus außerhalb von Marienburg „organisieren” wir uns auch einen stabilen Handwagen und Federbetten. Die kleine Gretchen und den sehr elend gewordenen Heini setzen wir in die Betten, der tapfere Gerhard zieht an der Deichsel, und ich schiebe unser elendes Gefährt. Über das verschossene Elbing und das wüste Braunsberg gelangen wir nach Heiligenbeil, wo ich 14 Tage freiwillig bei den Russen arbeite, weil es dort dafür etwas Brot und etwas stinkendes altes Pferdefleisch gibt. Zum 1. Mai müssen wir hier die Straßen schön fegen, und wir erleben dann wieder die Besoffenheit der roten Sieger mit den üblichen Begleiterscheinungen. Von Heiligenbeil an gleicht Ostpreußen einer Wüste (d. h. gleich hinter der Weichsel waren alle Höfe leer, wenn nicht zufällig gerade ein Pole oben war als Besitzer). Jetzt sind wir in einer richtigen Wüste: Keine Kuh, kein Pferd, kein Schwein, kein Huhn, keine Taube, kein Kaninchen, leere Bienenstöcke, ganz öde, verlassene, zerschossene Dörfer, 10-20 Kilometer wandern wir, ohne ein menschliches Wesen zu sehen, höchstens streicht eine verwilderte Katze über die Straße. Mir ist oft himmelangst, mein Herz ist auch wohl nicht mehr ganz in Ordnung. Über Zinten, Kanditten, Landsberg/Ostpr. landen wir endlich am 8. Mai 1945 in unserm lieben Schönwiese.
 aufgeschrieben: 1952